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Bittere Pille für die Geburtshilfe

Bittere Pille für die Geburtshilfe

Wissenschaftliche Fachgesellschaften sehen den erschwerten Zugang zum Medikament Cytotec kritisch und befürchten Versorgungslücken

Bevor ein Medikament auf den Markt kommt, muss der Hersteller dessen Wirksamkeit, Qualität und Sicherheit nachweisen. Ist ein Mittel dann für eine bestimmte Indikation zugelassen, können es Ärztinnen und Ärzte unter bestimmten Voraussetzungen auch bei anderen Erkrankungen einsetzen, für die der Hersteller keine Zulassung beantragt hat. Auch das Medikament Cytotec, das u. a. zur Prävention von Magengeschwüren freigegeben ist, wird in der Geburtshilfe und Gynäkologie im sogenannten „Off-Label-Use“ standardmäßig verwendet. Weil Cytotec in mediale Kritik geraten ist, soll der Reimport des Medikaments nach Deutschland nun allerdings deutlich erschwert werden. Mehrere wissenschaftliche Fachgesellschaften haben sich in einer gemeinsamen Stellungnahme kritisch dazu geäußert und zusätzlich in einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und den Präsidenten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Prof. Karl Broich gefordert, die Entscheidung zurückzunehmen. Sie befürchten andernfalls, dass eine Lücke in der Versorgung schwangerer Frauen entsteht.

In den vergangenen Monaten gab es Berichterstattungen darüber, dass die Verwendung von Cytotec bei der Geburtseinleitung Komplikationen bei Müttern und Säuglingen auslöse. Deshalb hat das BfArM den Reimporteuren nahegelegt, das Medikament nicht mehr aus dem Ausland nach Deutschland einzuführen. „Außer Acht gelassen wurde in den Medienberichten und bei der Entscheidung des BfArM allerdings, dass Cytotec nicht nur zur Einleitung von Geburten eingesetzt wird, sondern auch ein Standardmittel zur Vorbereitung von Eingriffen an der Gebärmutter ist und sich in der Behandlung von Frauen nach Fehlgeburten und bei starken Blutungen nach der Geburt bewährt hat“, erklärt Prof. Dr. Sven Kehl, Koordinator des Universitäts-Perinatalzentrums Franken der Frauenklinik (Direktor: Prof. Dr. Matthias W. Beckmann) des Universitätsklinikums Erlangen. Aufgrund der Wirksamkeit bei Fehlgeburten und Blutungen hat auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits vor Jahren veranlasst, dass der Cytotec-Wirkstoff Misoprostol in die Liste der unentbehrlichen Medikamente aufgenommen wird.

Cytotec: eher Lebensretter als Gefahr

Für die Einleitung von Geburten am errechneten Geburtstermin gibt es zugelassene Medikamente, die ebenfalls Misoprostol enthalten. „Diese Präparate sind allerdings für andere Indikationen wie Blutungen und Fehlgeburten ungeeignet, da sie zu niedrig dosiert sind. In der richtigen Konzentration ist Cytotec in der Geburtshilfe unverzichtbar“, betont Prof. Kehl. „Komplikationen können immer auftreten – bei allen Medikamenten. Es ist dann entscheidend, darauf adäquat zu reagieren.“

Gemeinsame Stellungnahme der Fachgesellschaften

Folgende wissenschaftliche Fachgesellschaften haben in einer gemeinsamen Stellungnahme dargelegt, warum das Medikament Cytotec in der Geburtshilfe und Gynäkologie unverzichtbar ist und durch dessen Wegfall eine Versorgungslücke entsteht: Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG), der Berufsverband der Frauenärzte e. V. (BVF), die Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin e. V. in der DGGG (AGG), die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin e. V. (DGPM) und die Deutsche Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin e. V. (DGPGM).

Die ausführliche Stellungnahme der Fachgesellschaften kann hier eingesehen werden.

Der offene Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und die BfArM ist hier abrufbar.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Sven Kehl
Telefon: 09131 85-33451
fk-direktion(at)uk-erlangen.de